Leseprobe – Paradise to go: Unwiderstehliche Versuchung

Aber dann, endlich, war ich da. Auf der Avus konnte ich zum Endspurt noch einmal voll aufdrehen. Ich war in Hochstimmung …
Bis die Angst wiederkam. Nachts, allein in Harrys Himmelbett mit den gedrechselten Holzsäulen.
Harry war schon in Österreich, ich konnte die Wohnung bis einschließlich August haben. Vor dem Schlafengehen sah ich mir vorsichtshalber noch einmal die Dispo für den morgigen Tag an, um sicher zu sein, dass ich gut vorbereitet war. Ich war es. Ich ging noch einmal die Sätze der ersten Szenen durch. Ich beherrschte sie. Ich ging sie immer wieder durch. Noch im Halbschlaf, der die ganze Nacht anhielt, murmelte ich sie vor mich hin.
Am nächsten Morgen stand ich wie gerädert auf. Und wusste kein Wort mehr. Mein Kopf war so leer, als hätte ich das Skript nie gelesen.
Panik.
Wie fing doch gleich die erste Einstellung an? Wie ging mein erster Satz? Irgendwas mit einer Waschmaschine. Ich musste nachschlagen. Ach ja, mit meiner Mutter im Kaufhaus. Und ich hatte zu sagen: „Also ‘ne neue Waschmaschine wär’ auch kein Luxus. Das Rattern von unserem … ollen … ollen Ding geht mir … was? Ah so, geht mir mächtig aufn … äh … Keks.“

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Es regnete in Strömen, als ich um sieben die Wohnung verließ. Um halb acht sollte ich an der Location sein. Im Beamteneinkauf am Kudamm. Ich war letzte Nacht schon mal dort gewesen und wusste also genau, wie ich zu fahren hatte.
Zehn nach. Viel zu früh. Ich parkte auf dem Mittelstreifen. Im Radio kam ein Song der Stones. „No expectations“.
Keine Erwartungen? Das konnte ich von mir nicht behaupten, ich hatte sogar riesige Erwartungen – und die Hosen gestrichen voll.
Ich drehte den Song auf volle Lautstärke, vielleicht in der Hoffnung, etwas von der wilden Energie der Stones abzubekommen. Nervös zog ich an meiner Zigarette und inhalierte tief. Mein Gott, hoffentlich ließen mich meine Nerven nicht im Stich. Amina, hilf mir … Ich entdeckte zwei VW-Busse der „Alia-Film“. Sie waren also auch schon da.
Als der Song vorbei war, stellte ich das Radio ab und stieg aus. Die Kleidung, die ich mitbringen sollte, trug ich in meiner Reisetasche. In der ersten Szene wurde saloppe Freizeitkleidung verlangt. Die hatte ich an. Jeans und einen weitgeschnittenen roten Pulli. Vielleicht ein bisschen grell? Mal sehen … Der Haupteingang war noch geschlossen, ich gelangte durch einen Seiteneingang hinein, irgendjemand sagte: „Sie sind im ersten Stock.“
Und da waren sie auch.
Scheinwerfer wurden aufgebaut, die Szenerie vorbereitet. Ich erspähte Hubmann etwas abseits von dem Trubel im Gespräch mit einem bärtigen Mann, der eine enorme Mähne im Afrolook auf seinem Schädel trug. Ich ging auf die beiden zu und versuchte ein professionelles Strahlen. Hubmann reichte mir flüchtig die Hand, unterbrach das Gespräch aber nur, um mir zu sagen, ich solle in die Garderobe gehen und dort warten.
„Wo ist die bitte?“
„Durch diese Tür und dann gleich rechts, der erste Raum.“ Damit wandte er sich wieder der Mähne zu.
Behandelte man so seinen Hauptdarsteller? Durch die Tür, dann rechts, dann … Ich hatte einen anderen Empfang erwartet.
In der Garderobe saß eine alte Frau, las Zeitung und rauchte. Als sie mich sah, sprang sie auf, mit einer Behändigkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte.
„Du bist der Fritz, der Fritz Lichtenhahn, Jungchen, hab ick recht? Komm herein in die jute Stube und lass dir drücken.“
Ihre Stimme klang wie Raucherhusten. An Umfang übertraf sie sogar noch Aminas Freundin Hilde, ihr Gesicht war eine zerklüftete Felsenlandschaft und unter den Augen hatte sie dicke Tränensäcke, die wie zwei Regenbogen leuchteten.
Sie umarmte mich, trat dann einen Schritt zurück und strahlte mich an. „Icke bin die Oberdorfer, für dir die Gaby, Jungchen. Icke werde dir die Nese poliern und det Haar vahunzen. Dafür bin icke da. Jut schauste aus.“

 

8 Uhr. Drehbeginn.
Hubmann erklärte der Darstellerin meiner Mutter, einer Frau Brenner, und mir die erste Einstellung. Wie sich herausstellte, war der Mann mit der Afromähne unser Kameramann.
„Also, ihr beide kommt hier den Gang entlang, die Kamera fährt vor euch her …“ Hubmann wandte sich an mich und fuhr mit weicher Stimme und weit ausholenden Gesten fort: „Hier an dieser Stelle fährt die Kamera nach links, und Sie, Rante, bleiben an der markierten Stelle vor der Waschmaschine stehen. Sie, Frau Brenner, stoppen etwas später, an dieser Markierung, und blicken ebenfalls wie Rante auf die Waschmaschine. Sie lieben diese Maschine, verstanden? Dann kommt Text, Text, Text … Alles klar? Okay, dann machen wir jetzt mal eine Probe. Ruhe bitte!“
Frau Brenner und ich begaben uns in die Ausgangsposition. Stille trat ein, alles beobachtete uns.
„Also dann … Action!“, rief Hubmann.
Wir hatten gerade drei Schritte zurückgelegt, als Hubmanns Stimme die Spannung zerriss: „Cut!“ Er starrte Frau Brenner an.
„Sagen Sie mal, wie gehen Sie denn?“
„Wieso? Wie gehe ich?“
„Sie gehen, als ob Sie, pardon, die ganze Nacht gevögelt hätten.“
„Ooh …“
„Sie haben doch sonst nicht so einen breitbeinigen Watschelgang. Was ist los mit Ihnen? Sie werden doch von mir nicht verlangen wollen, dass ich Ihnen auch noch vormache, wie Sie zu gehen haben.“
„Nein, natürlich nicht.“
„Also, dann das Ganze noch mal von vorn.“
Wir gingen zurück und hörten Hubmann sagen: „Was soll ich mit ihr bloß anfangen? Sie geht doch wirklich so, als ob sie …“
Die Frau war mindestens fünfzig. Ein Muttertyp, für die Rolle passend. Ihre Lippen zitterten.
„Ruhe und … Action!“
Hubmann stand etwa fünf Meter von uns entfernt und beobachtete uns lauernd, einen Finger in der Nase. Es war ersichtlich, wodurch sie so groß geworden war.
„Cut!“ Wir hatten wieder nur ein paar Schritte geschafft.
„Frau Brenner, so können Sie sich meinetwegen zu Hause bewegen, aber doch nicht vor der Kamera“, nörgelte Hubmann. „Sagen Sie, was haben Sie wirklich letzte Nacht getrieben? Das kann doch nicht Ihr normaler Gang sein.“
Einige unterdrückte Lacher.
„Ich … ich …“ Die Frau neben mir zitterte jetzt wie Espenlaub. Das fängt ja gut an, dachte ich. Hoffentlich hat er an mir nicht auch so viel auszusetzen.
„Action …!“ Der dritte Versuch. Wir gingen los und warteten auf die nächste Unterbrechung. Und die kam. Hubmann sagte laut und vernehmlich zu seinem Assistenten: „Jetzt geht sie gestelzt, als ob sie gleich abheben will. Was sagt der Mensch dazu. Jetzt presst sie die Beine zusammen, als ob sie nie mehr vögeln will.“
Frau Brenner neben mir schluchzte unterdrückt auf. Wir erreichten die Waschmaschine und unsere markierten Stellen. Ich blieb als Erster stehen. Und wartete auf das „Cut!“ von Hubmann. Unsicher schielte ich in seine Richtung.
„Was ist los, Mann?“ bellte er mich an. „Wo bleibt Ihr Text?“
Ja, wo blieb er? Weg war er.Unauffindbar. Verschollen. Ich wusste nicht einmal mehr, dass ich mich für eine neue Waschmaschine interessieren sollte. Hilflos zuckte ich die Achseln.
„Herr Kleinknecht, Sie werden nicht dafür bezahlt, dass Sie sich vor der Kamera ausschweigen. Also, Ihren Text bitte!“
„Ich … er fällt mir nicht … Ich hab einen Hänger. Entschuldigen Sie.“
„Entschuldigen soll ich das auch noch. Jesus, was uns das für Zeit kostet. Man sollte eben nicht mit Amateuren arbeiten. Sagen Sie mal, was haben Sie denn für einen Pullover an? Warum ist der so rot?“
Ich zog es vor zu schweigen.
Betretenes Schweigen auch ringsum.
Breitbeinig, den Finger in der Nase, den Kopf vorgebeugt, mit dem Blick die Antwort auf dem Boden suchend, sagte Hubmann gefährlich leise: „Wer ist denn für die Garderobe verantwortlich? Soviel ich weiß … haben wir auch dafür jemanden engagiert.“ Sein Kopf fuhr ruckartig in die Höhe, und er brüllte: „Frau Grün, das ist Ihre Aufgabe, wenn ich nicht irre.“
Er hätte nicht so brüllen müssen. Frau Grün, der gefallen hatte, was ich trug, stand nur zwei Schritte hinter ihm.
„Ich – ich. bin hier“, piepste sie.
Er schnellte zu ihr herum. „Was soll der Unsinn. Wie servieren Sie mir diesen Mann?“
Sie schluckte. „Er sollte Freizeitkleidung tragen. Jeans und Pullover. Ich fand das gut.“
„So!“ Hubmann blitzte sie vernichtend an. „Sie fanden das gut. Und finden Sie das jetzt hier auf dem Set immer noch gut, wenn man fragen darf?“
„Ich dachte eigentlich …“
„Was Sie dachten, interessiert mich nicht. Mich interessiert nur, was ich im Scheinwerferlicht vor mir sehe. Und was ich sehe, ist Quatsch, nicht zu gebrauchen.“
„Nicht … zu …“ Sie war völlig gebrochen.
„Was glauben Sie denn, was wir hier für einen Film drehen? Vielleicht einen kommunistischen Propagandafilm? Wollen Sie für die Roten Reklame machen? Wir bemühen uns, einen sozialkritischen Film auf die Beine zu stellen, Frau Grün, einen sozialkritischen Film, wenn Sie wissen, was das bedeutet. Sagen Sie mir doch, was hat Sozialkritik mit dem Kommunismus zu tun?“
Sie schwieg ihn flehend an.
Hubmann streifte sie noch einmal mit einem empörten Blick und wandte sich dann ab. „Hat man Töne. Mit was für Menschen arbeite ich eigentlich zusammen? Sie hat keine Ahnung, worum es uns bei unserer Arbeit geht, aber Geld verdienen, das will sie.“ Abermals fuhr er zu ihr herum und herrschte sie an: „In zwei Minuten hat der Mann einen anderen Pullover an, oder ich gehe nach Hause. Ich bin doch nicht zu meinem Vergnügen hier. Na, wird’s bald! Ziehen Sie ihm einen mausgrauen Pulli an oder von mir aus auch einen grünen, wenn Sie nicht anders können – aber das Rot muss weg!“
Hektische Betriebsamkeit brach aus. Hubmann stand wie eine dorische Säule und verfolgte gebannt den Sekundenzeiger seiner Uhr. Einer der Statisten musste mir seinen Pullover ausborgen, dann schob mich die vor Angst schlotternde Frau Grün vor Hubmann. Sie blieb hinter mir in Deckung.
„Ist es recht so?“, erkundigte sie sich unterwürfig.
Die Ahnung eines Lächelns. „Nicht schlecht. Beige, hm … Entspricht dem Charakter der Szene. Sie können ja, wenn Sie nur wollen. Dass ich mich immer erst so aufregen muss.“
Noch einmal eine Probe.
Diesmal hielt er nasebohrend still, und wunderbarerweise tauchte auch mein Text wieder auf: „… Das Rattern von unserem ollen Ding geht mir mächtig aufn Keks“, schloss ich, und meine Partnerin antwortete, während sie mich weiterzog: „Wir können uns aber keine leisten, Sohn. Komm!“
Hubmann seufzte: „Na, endlich. Wir drehen.“ Und dann zu mir: „Die lässige Haltung haben Sie auch nicht gerade erfunden. Ihre Hände hängen an Ihnen herunter, als ob sie nichts mit Ihnen zu tun hätten. Stecken Sie sie doch in die Hosentaschen.“
„Ich glaube, die Jeans sind zu eng.“
„Dann ziehen Sie eben eine Jacke an, die entsprechende Taschen hat. Frau Grün!“
„Ja, bitte?“
„Herr Kleinknecht braucht eine Jacke, in die er seine Hände stecken kann. Besorgen Sie sofort eine. Wir drehen gleich.“
Mehrere Minuten verstrichen. Hubmann hatte sich gegen die Wand gelehnt und starrte wieder demonstrativ auf seine Armbanduhr.
„Genau fünf Minuten und fünfunddreißig Sekunden“, murrte er, als Frau Grün endlich mit mehreren Jacken über dem Arm aufkreuzte. „Von dem segensreichen Satz Zeit ist Geld haben Sie auch noch nichts gehört, Frau Grün. Glauben Sie denn, dass Filmen kein Geld kostet?“
„Es ging leider nicht schneller, Herr Hubmann“, stammelte sie.
„Und damit soll ich mich abfinden? Na, dann zeigen Sie mal her, was Sie gefunden haben.“
Ich probierte die Jacken an.
„Zu kurz … Um Gottes willen, was haben Sie sich denn dabei gedacht … ausgesprochen popelig, ziehen Sie das Ding sofort wieder aus, Herr Kleinknecht … Taschen in Brusthöhe? Dann sieht er ja noch verkrampfter aus … So, das ist also alles, was Sie auftreiben konnten? Frau Grün, soll ich Ihnen mal ehrlich meine Meinung sagen?“
„Da ist noch eine Jacke, aber sie wird Ihnen auch nicht gefallen“, flüsterte sie.
„Woher wollen Sie das wissen? Maßen Sie sich etwa an, meinen Geschmack zu kennen? Wo ist sie? Her damit!“
„Aber … sie ist rot“, weinte Frau Grün.
„Rot, so …“ Hubmann knetete unentschlossen seine Nase. „Und wo ist sie, warum kann ich sie nicht sehen?“
„Weil, ich dachte …“
„Sie dachten schon wieder. Dabei ist doch noch nie etwas herausgekommen. Mein Gott, was sind Sie nur für eine Person.“
Sie eilte hinaus und kehrte kurz darauf mit der Jacke zurück. Einer roten Strickjoppe. Sie half mir hinein, während Hubmann vor sich hin brütete. Ich steckte die Hände in die Taschen und wartete auf seinen nächsten Ausbruch.
Lange stand er vor mir, tief versunken in die Betrachtung der Jacke. Alles wartete ängstlich gespannt auf seine Reaktion.
Da – ein Lächeln. Kaum zu glauben. Er lächelte tatsächlich, einen beinahe scheuen und zärtlichen Ausdruck in den Augen. Er trat einen Schritt zurück.
„Sehen Sie auch, was ich sehe?“, fragte er mit andächtiger Stimme.
Verwirrtes Gemurmel.
„Frau Grün, was sagen Sie dazu?“
Eilfertig trat sie einen Schritt vor. Ihr Gesicht, ein einziges Fragezeichen. „Was – sehen Sie, Herr Hubmann?“
Anstelle einer Antwort trat er auf sie zu und drückte der fassungslosen Frau einen Kuss auf die Stirn. „Frau Grün“, sagte er feierlich, „das ist es. Genau das wollte ich haben. Sie haben sich selbst übertroffen. Ja, das ist perfekt.“
„Finden Sie -?“ Sie kicherte hysterisch.
„Brillant! Und diese Farben. Beige und rot. Diese Zusammenstellung. Mein Gott, das ist die Rolle.“ Er schien zutiefst bewegt. „Ja, diese Farben inspirieren mich. Endlich können wir mit der Arbeit beginnen, Kinder. Dieses Rot zeigt richtungsweisend in die Zukunft, wird aber gleichzeitig abgemildert durch das Beige, der Farbe erdnaher, gesunder Lebenseinstellung. Frau Grün, ich spreche Ihnen hiermit meine aufrichtige Bewunderung aus.“
„Danke“, ächzte sie kurz vor dem Zusammenbruch.
Hubmann klatschte in die Hände, er strahlte jetzt unbändigen Optimismus aus. „Avanti, avanti, wir fangen an! Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.“
Der Set begann zu summen.
Gaby kam auf mich zugewatschelt. „Lass dir abtupfen, Jungchen.“ Ich starrte sie hilflos an. Das alles ging über meine Kräfte. Sie puderte mir den Schweiß von der Stirn. „Kopf hoch, lass dir von det olle Ekel nich untakriejen. Det is nur ‘ne Masche. Det braucht er, um sich einzustimmen … imma erst vastimmen, vastehste. Kiek nich so doof wie ‘n Affe im Zoo.“
Wir befanden uns wieder in der Ausgangsposition. In meinem Kopf drehte sich alles. Die Scheinwerfer gaben heißes Licht.
„Ton ab!“ befahl Hubmann.
„Ton läuft.“
„Kamera ab!“
Es begann zu surren.
Ein Mann hielt mir eine zweigeteilte Tafel vor die Nase. „Achtunddreißig, die erste!“ Er klappte die beiden Teile zusammen und sprang zur Seite.
„Action!“, brüllte Hubmann.
Wir gingen los. Meine Beine wollten mir kaum gehorchen. Ich flatterte vor Angst. Aus den Augenwinkeln sah ich Hubmann erregt in seiner Nase bohren. Vor mir die weißen Maschinen. Davor mein Markierungszeichen. Wir brauchten einen neuen Geschirrspüler. Hilfe! Warum Geschirrspüler? Nein, was für die Wäsche … Ich blieb am Zeichen stehen, flatterte immer stärker. Jetzt mein Text. Wir wollten so eine Maschine. Weiß. Das Surren der Kamera. „Wir brauchen … Du, Mutter …“ Hilfesuchend, in höchster Not, starrte ich meine Partnerin an. Sie schaute nichtssagend zurück. „Wir brauchen die Maschine da …“ Ich sah die Trommel. „Die Waschmaschine. Das Flattern von unserem Geschirrspüler … äh … die Maschine da …“
„Cut!“, hörte ich Hubmann rufen.
„Aus, dachte ich. Die Szene – geschmissen. Warum tat sich der Boden nicht auf, um mich zu verschlucken? Ich wagte nicht aufzublicken. Jetzt war ich dran. Himmel, hilf!
Ich spürte, dass er langsam auf mich zukam. Er blieb vor mir stehen. Er legte eine Hand auf meine Schulter. Warum das? Ich blickte hoch – und begegnete einem gütigen, väterlichen Lächeln.
„Ich … weiß nicht … was ich sagen …“
„Ist schon gut, mein Junge. Das ist doch ganz normal“, tönte es sanft zurück. „Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Wir kriegen das schon hin.“
„Herr Hubmann, ich …“
„Rein äußerlich bringen Sie doch alles für die Rolle mit. So wie Sie eben gegangen sind, fabelhaft, sage ich Ihnen. Und von Krampf keine Spur mehr. Sie sperren sich nur noch gegen den Text.“
„Vorhin habe ich ihn noch gekonnt. Glauben Sie mir.“
„Aber das weiß ich doch. Das haben Sie uns vorhin auf der Probe gezeigt. Kommen Sie. Wir werden uns jetzt mal etwas miteinander unterhalten. Sie müssen nur Vertrauen zu mir haben, das ist alles. Kaffeepause!“, brüllte er, dass es mir in den Ohren schallte. „In einer Viertelstunde geht’s weiter!“
Er nahm meinen Arm und führte mich ins Restaurant. Es tat gut, seine Berührung zu spüren. Und dann saß er mir gegenüber, der berühmte Regisseur Hubmann, und bestellte für mich einen Kaffee mit. Ich verstand die Welt nicht mehr und bemühte mich auch gar nicht mehr darum.
„Jetzt machen Sie doch nicht so ein Weltuntergangsgesicht, Rante. Sie stehen schließlich zum ersten Mal vor der Kamera. Ich weiß, wie schwer das ist. Viele Ihrer berühmten Kollegen haben am Anfang das Gleiche mitgemacht, glauben Sie mir.“
Ob sie auch solche Regisseure gehabt hatten, fragte ich mich. Denn an dem Debakel trug nur er die Schuld und sonst keiner.
„Sie werden sehen, es geht jetzt von Mal zu Mal besser, mein Freund. Für Talente hatte ich schon immer einen guten Riecher.“
Eine Frage ging mir nicht aus dem Kopf. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. „Herr Hubmann, Sie haben mir doch gesagt, damals beim Vorsprechen, dass der Film in Schwarz-weiß gedreht wird …“
„Ja, und?“
„Hat sich daran etwas geändert?“
„Unglücklicherweise nein. Das wäre zu teuer für uns. Weshalb fragen Sie?“ Er betrachtete mich erstaunt.
„Weil Sie so ein Aufhebens um die Farbe meines Pullis gemacht haben. Spielt das denn bei Schwarzweiß eine Rolle?“
„Ihre Frage wundert mich“, erwiderte er gedehnt. „Aber ich will sie Ihnen trotzdem beantworten, schließlich sind Sie noch ein Anfänger. Sehen Sie, das ist so: Farben sind für mich lebensnotwendig. Meine künstlerische Inspiration hängt auf Gedeih und Verderb von ihnen ab. Ich bin so sensibel, dass mich falsche Farben, falsche Farbkombinationen künstlerisch vernichten können, vom Menschlichen ganz zu schweigen. Können Sie das verstehen? Deshalb diese furchtbaren Kämpfe, die ich auszustehen habe, nur deshalb.“
„Aha“, sagte ich.
„Aber jetzt, wieder zurück zur Arbeit! Trinken Sie aus und lassen Sie sich wieder herrichten. Ich bin sicher, dass es jetzt nur so flutscht, mein lieber Rante. Sie werden über sich selber staunen. Übrigens, hätten Sie Lust, morgen Abend mit mir essen zu gehen? Dann könnten wir uns mal ausführlich und in aller Ruhe über Ihre Rolle unterhalten. Einverstanden?“

 

Gaby puderte und kämmte mich. „Det war aber nischt, wat de da jeboten hast, Jungchen. Mach so wat nich wieder, hörste? Sonst fliegste nämlich raus.“
„Ich werde mir Mühe geben“, versprach ich.
„Der Hubmann is jut. Und treu. Wenn er dir in sein Herze jeschlossen hat, dann holt er dir imma wieda. Icke mach jeden Film mit ihm zusammen, und ooch die Brenner und die dämliche Jrün. Nee, so wat von eene Ziege, det hältste im Kopp nich aus.“ Dann gab sie mir noch den guten Rat, mich mit Hubmann ja nicht einzulassen. „Det olle Ekel is nämlich schwul. Und du liegst uff seine Wellenlänge. Drum pass uff, Jungchen. Halt die Ohren steif.“
Diesmal klappte die Szene. Hubmann war die Güte in Person, er lobte mich: „Fühlen Sie’s, Rante, wie die Rolle allmählich kommt?“ Und auch für meine Partnerin fand er einige Worte: „Merken Sie, dass Ihr Gang langsam menschenähnlich wird?“ Zum Skriptgirl gewandt, sagte er: „Die nehmen wir. Aber vorsichtshalber machen wir noch eine zweite.“
Wir machten noch eine dritte. Während der zweiten explodierte ein Scheinwerfer mit lautem Knall. Aber dann war Hubmann zufrieden. „Für den Anfang ist das sehr schön, Kinder, was wir geschafft haben.“
Er war guter Laune, sie wirkte ansteckend und hielt vor allem den ganzen Tag vor. Trotzdem war ich abends restlos erledigt, als ich nach Hause zurückkam. Ich lag vor dem Fernseher, dämmerte vor mich hin und ging im Geist noch einmal alle Szenen durch, die wir heute abgedreht hatten.
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