Herr Feyerabend
Ich hab’s mit den Namen. Wenn da einer Herr „Pubs“ heißt oder Frau „Rülps“ oder „Schweinebacke“ oder „Grunzer“ – da denke ich mir schon meinen Teil und schaue mir den dazugehörenden Menschen genauer an. So erging es mir auch mit Herrn Feyerabend.
Wir lernten uns in einem grauen Amtsgebäude kennen, ich eher unfreiwillig. Nach ewigem Warten leuchtete endlich, endlich meine Nummer auf. Meine Laune war im Keller. Ich hasse es, zu einer Nummer degradiert zu sein. Ist das wirklich nötig? Warum ruft man die Bürger nicht namentlich auf? Als ich dann am Türschild noch den Namen „Feyerabend“ las, dachte ich mir, das kann ja heiter werden.
Wurde es nicht. Er machte seinem Namen alle Ehre und sah wirklich so aus, als könne ihn nur noch der Feierabend von seiner miserablen Existenz erlösen. Es fehlten nur noch die Ärmelschoner, dann wäre er der Inkarnation des Beamtenklischees schon verdammt nahegekommen. Seine Bewegungen waren langsam und geradezu ängstlich überbetont und sein Arbeitstempo derart langsam, dass die „Zeitlupe“ dagegen das reinste High-Speed-Rennen war.
Seit dieser denkwürdigen Begegnung waren alle Beamten für mich nur noch Herr oder Frau Feyerabend, egal, ob mit „i“ oder „y“. Ich habe einen Sketch geschrieben, in dem eine Beamtin vorkommt. Ihr Name? Feyerabend! In dem Buch, das ich gerade schreibe, kommt ein ziemlich sturer und mediokrer Beamter vor. Natürlich heißt er … Genau. Nur habe ich diesmal aus dem „y“ ein „i“ gemacht.
Das war bis jetzt so. Doch jetzt hat sich alles geändert! Herr Feyerabend, ich möchte Abbitte leisten. Ich werde mich nie mehr über Sie lustig machen. Das verspreche ich.
Was diese Kehrtwende verursacht hat? Eine kleine Zeitungsnotiz! Ein Mann namens Hans Feyerabend wurde am 25. November im Berliner Rathaus als 569. Deutscher von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Yashem in Jerusalem zum „Gerechten unter den Völkern“ ernannt. Das ist die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel an Nicht-Juden zu vergeben hat – an Menschen, die ihr eigenes Leben riskiert haben, um Juden zu helfen.
Post mortem in diesem Fall. Denn die Geschichte liegt 70 Jahre zurück. 1945 trieb die SS Tausende jüdische Gefangene auf Todesmärsche. 3000 von ursprünglich 13000 erreichten am 26. Januar Palmnicken bei Königsberg. Die Straßen und Wege dorthin waren gesäumt mit Toten. Es handelte sich vor allem um jüdische Frauen aus Polen und Ungarn. In Palmnicken wollte der Befehlshaber Fritz Weber sie in die Bernsteinmine treiben und lebendig einmauern lassen.
Doch der dortige Kommandant des Volkssturms, Hans Feyerabend, weigerte sich, dem Befehl nachzukommen. Überliefert sind seine Worte: „So lange ich lebe, werden die Juden zu essen bekommen, keiner wird sterben“. Und er ließ die halb verhungerten Menschen versorgen.
Doch er lebte nicht mehr lange. Am 30 Januar wurde er erschossen aufgefunden, den Gewehrlauf im Mund. Die offizielle Todesursache: Selbstmord. So ganz sicher ist es nicht, ob da nicht auch nachgeholfen wurde. Andererseits ist es aber auch gut nachvollziehbar, dass er derart verzweifelt darüber war, den Frauen nicht helfen zu können, dass er für sich keinen anderen Ausweg sah.
Wie hätte ich gehandelt? Wie hättet Ihr Euch verhalten?
Ich denke an den Priester, der mit den ihm anvertrauten Menschen in die Gaskammer ging. Volker Schlöndorff hat einen Film darüber gedreht, ich glaube, mit John Malkovich. Und ich erinnere an den deutschen Soldaten in Griechenland, der zum Exekutionskommando gehörte und plötzlich seine Waffe niederlegte, um sich in die Reihe zu den Delinquenten zu stellen.
Die SS und ein Großteil der Bevölkerung von Palmnicken wollten die Menschen loswerden. In der folgenden Nacht wurden sie in das eiskalte Wasser der Ostsee getrieben und zusammengeschossen. 3000 Menschen! Kann man sich auch nur annähernd vorstellen, was sich da abspielte? Hier streikt meine Phantasie. Aber vielleicht auch deshalb, weil ich mir das gar nicht vorstellen will. 200 von diesen armen Menschen überlebten das Massaker und nur 15 insgesamt von ihnen den Krieg.
Herr Feyerabend, ich lüfte meinen imaginären Hut vor Ihnen.
Und die Moral von der Geschicht? Vertrau dem Klang der Namen nicht! Selbst wenn einer „Arschloch“ heißt, bedeutet das noch lange nicht, dass er tatsächlich eines ist. Was im Umkehrschluss natürlich nur bedeuten kann, dass so mancher Hochwohlgeborene oder Herr Großgeist durchaus eines sein kann. Nein, die Namen können nichts dafür, was für Menschen sich hinter ihnen verbergen. Auch der Name Fritz Weber nicht, hinter dem sich solch ein bestialischer Mörder verbarg.
Mit Menschen wie Hans Feyerabend wird die Welt besser. Menschen wie er lassen uns hoffen.
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